Eine Platte für die Insel

Das eine Band sich im Laufe ihrer Entwicklung von ihren progressiven Wurzeln entfernt und sich dem gefälligen ChartsPopRock hingibt (wie z.B. Genesis), ist immerhin „irgendwie“ nachvollziehbar angesichts der sich dann auftuenden und sprudelnden Geldquellen, die ein Leben in Reichtum ermöglichen – Kunst hin oder her.

Eine Band, die den umgekehrten Weg geht, kann da schon weniger mit „Verständnis“ rechnen. Die britischen Talk Talk z.B. waren Anfang der 80er Jahre eine erfolgreiche Synthie-Pop-Band, deren Hits „It’s My Life“ und „Such A Shame“ jede(r) kennt, der/die in den 80er Jahren Musik gehört hat.

Mit dem Album „Colour of Spring“ gelang der Band 1986 ein großer kommerzieller Erfolg, der ihr mehr Möglichkeiten für künftige Produktionen bescherte. Schon bei dieser Platte war ein ernsterer Unterton zu hören, der den Kunstwillen der Band demonstrierte. Die Stücke waren immer noch eingängig, aber schon länger und komplexer als bisher. Nicht wenige Stimmen meinen, „Colour of Spring“ wäre die Platte, die Pink Floyd in den 80er Jahren immer machen wollten, es aber nicht mehr konnten.

1988 erschien dann die künstlerisch avantgardistische LP „Spirit of Eden“, bei der u. a. Jazz-Größen wie Henry Lowther, der Violinvirtuose Nigel Kennedy und Instrumenten-Erfinder Hugh Davies mitspielten. Dieses anspruchsvolle Werk war kommerziell gesehen ein Flop, zugleich ist diese Platte aber auch ein zeitlos schönes Meisterwerk der Rockmusik, das bei der berühmten Frage nach den fünf oder zehn Platten, die man auf eine einsame Insel mitnehmen dürfe, auf jeden Fall genannt werden sollte.

Das letzte Album „Laughing Stock“ von 1991 verschlug dann nicht mehr nur den Käufern, sondern auch den Kritikern die Sprache. Die LP erschien bezeichnenderweise auf dem Jazz-Label „Verve“, was aber eher in die Irre führt und nur die Ratlosigkeit der Musikindustrie demonstrierte. „Laughing Stock“ ist kein Jazz, sondern Avantgarde im reinen Sinne, in der Jazz- und eben Rockelemente nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Auch diese Platte ist – obwohl sie den Hörer vehement fordert – ein Meisterwerk, das nur darauf wartet wiederentdeckt zu werden.

Talk Talk lösten sich mit der Erkenntnis auf, das ambitionierte und kunstvolle Musik nicht genug Freunde hat bzw. Käufer findet. Für die Rockmusik ist das ein wirklicher Verlust, aber immerhin haben wir zwei oder drei Platten für die Ewigkeit erhalten, die immer anhörenswert sind. Das Album „Spirit of Eden“ passt wunderbar zu der flirrenden und leicht irren Weihnachtsatmosphäre, die wir in den kommenden Tagen wieder erleben werden. Alle Songs sind gleich gut, das folgende Stück „The Rainbow“ ist nur ein Beispiel für alle. Frohe Weihnachten!

Wilfried

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