Krautrock(-Sampler)

Rock-Sampler kennt wohl jeder. Sie kompilieren aktuelle Hits oder stellen ein Musikgenre, einen Künstler bzw. eine Band, eine Musikepoche oder das Angebot einer Plattenfirma vor. Viele von ihnen enthalten einige bekanntere Titel und viel Füllstoff und die Enttäuschung des arglosen Käufers ist meistens vorprogrammiert.

German Rock Scene Vol. I, 1973, Vorder- und Rückseite
German Rock Scene Vol. I, 1973, Vorder- und Rückseite

Es gibt aber auch Sampler, die quasi Rockgeschichte geschrieben haben. Zu diesen gehören eindeutig die LPs der Reihe German Rock Scene des Plattenlabels GOVI, das in den 1970er Jahren in vielen Städten auch eigene Plattenläden betrieb. Die mit Vol. I bis Vol. VI betitelten und von 1973 bis 1980 erschienenen Ausgaben der Reihe waren aufgrund des sehr günstigen Preises (nach meiner Erinnerung etwa 5 DM) ungemein bekannt und fanden sich in sehr vielen Plattensammlungen. Gerade aufgrund dieser weiten Verbreitung schufen die sechs LPs – auch wenn sie natürlich nur einen kleinen Einblick boten – so etwas wie ein Bewusstsein für die damalige Deutschrockszene und trugen meines Erachtens nicht unwesentlich zur Entwicklung und Verbreitung des Krautrocks in den 1970er Jahren bei.

German Rock Scene Vol. I

German Rock Scene Vol. II

German Rock Scene Vol. III

German Rock Scene Vol. IV

German Rock Scene Vol. V

German Rock Scene Vol. VI

Und das war keineswegs eine Selbstverständlichkeit, denn inbesondere in der deutschen Musikpresse und bei vielen so genannten Experten wurden (und werden)  Krautrockbands gerne mit einer gewissen Herablassung und Geringschätzung beurteilt – warum auch immer. „Je weiter man von Deutschland wegkommt, desto größer ist die Wertschätzung für diese Art von Musik aus den Siebzigern“ (Michael Rother, Gitarrist von NEU! im Jahr 2001).

Eine aktuelle Kompilation namens Krautrock. Masters & Echoes versucht, dem Krautrock in seinem Wesen nachzuspüren und seine Einflüsse und Auswirkungen auf moderne Bands aufzuzeigen. Das ganze Projekt kann natürlich nur grandios scheitern. Zum einen ist es die Auswahl der Krautrockbands bzw. sind es die Lücken in der Auswahl, die zum Widerspruch reizen, zum anderen ist es die angebliche Inspiration selbst, die doch vielfach nur zu erahnen ist. Aber dennoch – und vielleicht auch gerade wegen dieser Widersprüche – ist dieser Rock-Sampler ein interessantes Experiment und ein guter Denkansatz zum Weitermachen.

Krautrock. Masters & Echos

Die ganze Pracht und den weiten Horizont des Krautrocks zeigen dagegen die Kompilationen Krautrock – Music for your Brain, von denen es mitlerweile auch schon vier „Volumes“ gibt und die mit jeweils sechs CDs und 480 Minuten Spielzeit wirklich einen erschöpfenden Überblick bieten und den Begriff „Krautrock“ – jedenfalls so wie er in Deutschland verwendet wird – als absurdes Klischee entlarven. Denn sein mutmaßlicher Erfinder – John Peel – meinte damit lediglich eine geographische Zuordnung von Musik und keineswegs die bewertende und auf bestimmte Stile fokussierende Verwendung des Begriffs in Deutschland.

Krautrock – Music for your Brain Vol. I

Krautrock – Music for your Brain Vol. II

Krautrock – Music for your Brain Vol. III

Krautrock – Music for your Brain Vol. IV

Auf der Vol. 4 findet sich dann endlich auch ein Beitrag eines Künstlers, an dem sich geradezu exemplarisch aufzeigen lässt, wie sich die in Deutschland vorherrschende Berichterstattung auswirken konnte. AR & Machines war ein Projekt von Achim Reichel, der sich mit den Rattles und Wonderland bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erspielt hatte. Mit der LP „Die grüne Reise“ (1970 eingespielt, im September 1971 veröffentlicht) brach er im wahrsten Sinne des Wortes zu neuen Ufern auf. Die Musikzeitschrift „Sounds“ beschrieb jedoch in ihrer Rezension diese Platte als billiges und konzeptloses Machwerk und zog das Fazit „Eine Platte für Bravo-Teenies“ (!). Der ganze Artikel sowie viele weitere Dokumente aus Achim Reichels „Machines“-Zeit finden sich auf seiner Website, die seine Karriere recht gut dokumentiert (dies als Hinweis für die Leser/Hörer, die nur seine späteren Deutsch-Pop-Platten kennen).

In den fünf Jahren, in denen „Die grüne Reise“ in den 1970er Jahren lieferbar war, wurden nur etwa 3000 Exemplare verkauft. Heute gilt die Platte in der Welt außerhalb Deutschlands als ein Meilenstein und Meisterwerk der psychedelischen Musik. Sie ist inzwischen wieder auf CD veröffentlicht worden – zusammen mit einer DVD, die eine filmische Umsetzung der Platte bietet, geschaffen von 60 Studenten der Fachhochschule Lippe und Höxter – University of Applied Sciences. Wie auch diese Wiederveröffentlichung in Deutschland rezensiert wurde (Kulturnews, Rolling Stone), muss wohl nicht weiter erläutert werden …

Mit „AR & Machines“ hat Achim Reichel sechs LPs veröffentlicht, von denen eben „Die grüne Reise“ sowie eine Auswahl aus diesen LPs („Echos aus Zeiten der grünen Reise“) heute wieder als CDs erhältlich sind. Sie zeigen auf, wie innovativ diese Musik wirklich gewesen ist. Tangerine Dream, Kraftwerk und viele andere haben die Motive später aufgegriffen und perfektioniert, aber die Ehre des Wegbereiters gebührt eindeutig Achim Reichel.

Achim Reichel

Wir hören auf dem folgenden Youtube-Video „far-out Krautrock“ vom Nachfolger der „Grünen Reise“, dem Doppelalbum „Echos“: „Echo of the present“ (1972) – meines Wissens bis heute nicht auf CD veröffentlicht.

Wilfried

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