Einmal im Leben die weltgrößte Schallplattenmesse im niederländischen „’s-Hertogenbosch“ („Mega Record & CD Fair“) besuchen … und vom 13. bis 14. April 2024 waren wir tatsächlich da! Die größte Vinyl-Schau der Welt findet zweimal im Jahr in den „Brabanthallen“ in der Regionalhauptstadt „Den Bosch“ (wie die allgegenwärtige Kurzform lautet) statt. Diesmal war ein umfangreiches Begleitprogramm angekündigt: neben Konzerten, Podiumsdiskussionen und Lesungen waren dies vor allem die (private) KISS-Collection des Sammmlers Alexander Johansson sowie die Cover-Ausstellungen von Manu Decker und Jan Vollard plus der gigantischen „Stax-Wall“ (das Plattenlabel, das den „Memphis Soul“ groß gemacht hat).
Die Schallplattenmesse findet stets in zwei großen Hallen mit ca. 600 Ausstellern aus der ganzen Welt statt. Verbunden sind die beiden Hallen durch eine kaum kleinere Halle mit der Veranstaltungsbühne, Buch-Ständen, T-Shirt- und Taschen-Ständen, Ausstellungen sowie diversen Orten für das leibliche Wohl.
Im Rahmen der diesjährigen Frühlingsausgabe der „Mega Fair“ fand zudem erstmals das „Vinyl Ville“ statt. Mit 30 Programmpunkten an mehr als 20 Orten in der Stadt stand „Den Bosch“ das ganze Wochenende über im Mittelpunkt der Vinyl-Welt.
Für dieses Rahmenprogramm lohnte sich tatsächlich die frühere Anreise. Während am Donnerstag (12. April) in den Hallen bereits (nicht öffentlich) die Händler untereinander ihre Schätze darboten, haben wir z.B. die „Vinyl-Boeken“-Ausstellung in der Stadtbibliothek besucht. Ein unerwartetes Highlight war anschließend die Ausstellung „Dance – the design of a culture“ im Design-Museum Den Bosch, eine Art Technik-, Design- und Kulturgeschichte der aktuellen Techno-Dance-Pop-Musik in den weltweiten Diskos, die trotz der allgegenwärtigen Techno-Musik (welche man erst einmal aushalten muss … 😎) sehr informativ ausfiel und schön anzusehen war.
Auch die drei Plattenläden in der Innenstadt von Den Bosch glänzten natürlich mit Vinyl-Angeboten aller Art – sodass unser Budget schon am Ende des ersten Tages eine deutlich spürbare Delle aufwies, ohne dass wir einen Fuß in die Hallen gesetzt hätten …
In den einschlägigen Foren wird immer wieder empfohlen, sich vor dem Besuch eine Art Ablaufplan zu erstellen, an dem man sich orientieren könne. Dieser Empfehlung sollte man auch unbedingt folgen, denn den visuellen Overkill beim Betreten der Hallen muss man erst einmal verarbeiten und sich dann vorsichtig „vortasten“ (schließlich gab es nicht nur LPs und CDs zu sehen, sondern auch Poster sowie das ganze technische Drumherum der Vinyl-Kultur). Wir hatten „Aufträge“ eines Golden-Earring-Fans dabei, was uns bei der „Strukturierung“ unseres Weges enorm half. Unsere eigenen Fundstücke fotografierten wir und schoben die Platten dann wieder in die Kiste zurück (man kauft nicht gleich zu Beginn der „Tour“ und möglichst auch nicht am ersten Tag …).
Bei manchen Preisvorstellungen der Händler waren wir doch etwas irritiert, andererseits schleppten Besucher Platten gleich kistenweise aus den Hallen. Man muss nicht jeden Wahn mitmachen, aber es ist grundsätzlich schon ein tolles Gefühl, so viele „Raritäten“ zu sehen und zuweilen sogar in die Hand nehmen zu können.Um die Mittagszeit hatten wir das besondere Glück, an einer Auktion der britischen Firma „Omega Auctions“, die sich auf die Versteigerung von „music memorabilia and vinyl records“ spezialisiert hat, als Besucher teilnehmen zu können. Das Angebot war bereits vorher bekannt und lag auch in opulenten Broschüren zur Ansicht bereit. Die eigentliche, ca. einstündige Auktion fand dann zugleich online und vor Ort statt. Man muss vermutlich schon ein extremer Sammler sein, um das Geschehen bei so einer Auktion wirklich verstehen zu können. So wurde eine äußerlich „normale“ UK-Ausgabe der ersten LP von Led Zeppelin angeboten, deren Auflage sich aber von anderen durch eine nachträglich geänderte Matrix-Nummer im Auslaufbereich der Schallplatte auf beiden Seiten unterschied. Diese LP – „A stunning example of this iconic rock album“ – fand für 2.500 englische Pfund ihren Käufer! (Da der Käufer – ein Japaner – überraschenderweise im selben Hotel wie wir logierte, konnten wir ihn zu seinem Kauf ein paar Fragen stellen. Er sagte, dass er die LP mit nach Japan nehme und dass dort bereits Käufer auf ihn warteten, die locker das doppelte oder Dreifache für sein Exemplar bezahlen würden). Zum Thema „Vinyl-Sammler“ sagt dies eigentlich alles … 🙂
Am nächsten, (für uns dritten) und letzten Tag der Vinyl Fair in Den Bosch fand morgens zusätzlich zur Messe ein großer Flohmarkt statt, auf dem es natürlich auch Platten zu kaufen gab. Ganz unvermittelt mussten wir an einem Stand dann eine Art Lebensentscheidung treffen. Dort gab es nämlich eine Riesenauswahl an hochwertigen, sehr gut erhaltenen LPs für 3,50 Euro das Stück. Selbst gesuchte und gut erhaltene Raritäten wie die Triple-LP „Fillmore: The Last Days“ gab es für nur ein paar Euro mehr. Der daraufhin befragte (niederländische) Standbesitzer meinte, dass ihm das ganze „MINT-Getue“ (MINT ist die beste Vinyl-Erhaltungsstufe mit den entsprechenden Preisen) gehörig auf den Geist gehe und er sich freue, wenn die Leute sich über seine Preise freuten. So etwas gibt es auch! Wir entschieden uns aber trotzdem, nicht wieder mit dem umfassenden Sammeln von Schallplatten zu beginnen, sondern uns weiterhin auf Spezialitäten zu konzentrieren.
So war unser Budget bereits ein weiteres Mal geschrumpft, ohne dass wir auf der Messe auch nur eine einzige Platte gekauft hätten. Wir begannen unseren Rundgang bei den Händlern, bei denen wir Fotos angefertigt hatten. Und tatsächlich konnten wir, da sich auch schon eine gewisse Ende-Mentalität und Messe-Müdigkeit bei einigen Händlern eingestellt hatte, die eine oder andere Rarität für vergleichsweise kleines Geld erwerben.
Wir hatten auf der Messe Leute herumlaufen sehen, die dicke Mappen mit unendlichen Zahlengruppen (Matrix- und Katalognummern) in der Hand hielten und damit jede LP prüften. Wie wichtig so ein Wissen für einen Vinyl-Sammler sein kann, mussten wir dann selbst (leider später) feststellen. Die erste LP der deutschen Band „Bröselmaschine“, damals noch im Folk-Gewand, superrar und von amerikanischen Musikmagazinen den „Top Ten“ der deutschen Krautrockplatten zugerechnet, konnten wir für 20 Euro erwerben, was uns als würdiger Abschluss dieser Vinyl-Messe erschien. Erst später sahen wir, dass wir nicht die Original-LP von 1971, sondern ein (durchaus ebenfalls seltenes) „Reissue“ von 2008 erworben hatten (dessen Label keine Jahreszahl enthielt).
Ein gewiefter Sammler hätte sofort das Fehlen des „Pilz“-Labels bemerkt. Von diesem Status waren wir offensichtlich noch ein ganzes Stück entfernt. Dennoch war der Besuch der „Mega Record & CD Fair“ ein großartiges Erlebnis und wir sind nach wie vor dankbar für diese Einblicke in eine Parallelwelt, die sich so manche Zeitgenossen wohl kaum vorstellen können.
Übrigens: Schallplattenmessen gibt es auch bei uns und in jeder größeren Stadt. Fahr‘ mal wieder hin, dort ist die Wahrscheinlichkeit, nette Menschen zu treffen, in diesen Zeiten überproportional höher als bei jedem anderen Event … 🙂
Weitere Infos:
recordplanet.nl ↗
vinylville.nl/ ↗
www.omegaauctions.co.uk/ ↗
www.good-vinyl.de/ ↗
Wilfried
Moin mitnanner,
den letzten Worten, des obigen Artikels, kann ich nur zustimmen…
Meiin Tipp: Jährliche Plattenbörse im Zollhaus Leer. In der Regel Anfang April, bzw. Dezember.
Diesmal zusätzlich, erstmalig draußen, am 11.August 2024, auf dem Parkplatz.
Munter bleiben, H.-Werner Stamm, Leer