Underground in den 80ern?

Die zweite Hälfte der 60er und Teile der 70er gelten – sicherlich zu Recht – als die experimentierfreudigste, innovativste und ergiebigste Phase der Rockmusik. Der musikalische Horizont wuchs mit der Aufnahme von Elementen des Jazz, Country, Folk und Psychedelic in unendliche Weiten. Platten wie das „Weiße Album“ der Beatles, „Pet Sounds“ der Beach Boys oder „Electric Ladyland“ von Jimi Hendrix haben Türen geöffnet, durch die noch heute immer neue Musikergenerationen gehen und neue Klangwelten schaffen.

Die 80er dagegen gelten eher als Jahrzehnt der Kontraste: „Im Gegensatz zu den ausgehenden Siebzigern, wo Punker, Popper, Discogänger und Ökos in ideologische Scharmützel verwickelt waren, verliefen die Achtziger eher im Sinne einer Ausdifferenzierung“. Neben den MTV-Superstars wie Madonna oder Michael Jackson, die den Mainstream bestimmten, hatte sich eine extrem vielschichtige Independent-Szene gebildet, die jedoch von der breiten Öffentlichkeit nicht wirklich wahrgenommen wurde.

„Eine so breite Kluft zwischen Top-Ten-Radio und dem so genannten Underground war neu. Die Independent-Szene der achtziger Jahre führte Traditionen aus den sechziger und siebziger Jahren fort, stellte die Musik in den Mittelpunkt und weigerte sich, das Videoformat zu bedienen“. Alles, was nicht dem MTV-Format entsprach, rutschte automatisch in die Independent-Nische: „Zehn Jahre zuvor hätte man Bands wie The Violent Femmes mit ihrem zappeligen Cow-Pop, Gun Club mit ihrem dunklen Countryblues oder Birthday Party, die erste Band von Nick Cave, in einem Atemzug mit den Doors oder Jefferson Airplane genannt“.

Das Nischendasein der Independent-Szene erlöste die Musiker aber auch von vielen Zwängen und subkulturellen Grabenkämpfen. Die Musiker standen zumeist in unscheinbarer Freizeitkleidung auf der Bühne und schoben die Musik ganz in den Vordergrund. Die Posen und das abgehobene Verhalten vieler sogenannter „Rockstars“ waren weit weg und spielten keine Rolle. Zumindest die Independent-Musikszene der 80er Jahre schließt sich, was Experiementierfreude, Formenreichtum und Vielschichtigkeit angeht, nahtlos an die beste Zeit der 60er und 70er Jahre an. Wer will, kann auch in den 80ern Schatzsuche betreiben und viele Perlen ans Tageslicht befördern, die den „Klassikern“ in nichts nachstehen.

Das abschließende Youtube-Video zeigt eine Band, die es – wie viele andere – nur zu einer Fußnote der 80er-Jahre-Rockgeschichte gebracht hat, aber noch heute von vielen Fans schmerzlich vermisst wird. Der Ausnahmegitarrist Bill Carter hatte schon mit den „Motor Boys Motor“ einen wahnwitzigen, schrägen, psychedelischen Bluesrock kreiert, der – nach meiner Erfahrung – die meisten DJs überforderte, von den Fans aber heiß geliebt wurde. „‚The Screaming Blue Messiahs“ setzten dann noch einen drauf und boten einen energiegeladenen modernen Blues und Rock’n’Roll mit viel schwarzem Humor und noch viel mehr Captain Beefheart. Zumindest in die LPs „Good and gone“, „Gun Shy“ und „Bikini Red“ sollte man mal reinhören – sie bieten phantastischen, vielseitigen und sehr individuellen Underground-Rock aus den 80ern!

Hier also die „Screaming Blue Messiahs“ mit einer Live-Version von „Sweet Water Pools“:

Wilfried

Die Zitate stammen übrigens aus dem sehr lesbaren Buch von Martin Büsser: „On the Wild Side. Die wahre Geschichte der Popmusik“. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg, 2004.

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