Kassettengeschichten

Die Domain www.kassettengeschichten.de steht seit einiger Zeit bei Sedo zum Verkauf. So ist das eben im Internet und es wäre somit wohl auch nicht weiter schade, wenn sich dahinter nicht eines der schönsten und interessantesten Ausstellungsprojekte der vergangenen Jahre verbergen würde.

Die Ausstellung „Kassettengeschichten. Von Menschen und ihren Mixtapes“ vom 21. Mai bis 29. Juni 2003 im Museum für Kommunikation Hamburg – und später in den Museen für Kommunikation Nürnberg und Frankfurt – ging zurück auf ein Forschungsprojekt am Institut für Volkskunde der Universität Hamburg, mit dem man sich dem Phänomen „Mixtapes“ erstmals auf wissenschaftlicher Basis nähern wollte.

Eine recht umfangreiche Beschreibung des Projektes ist dankenswerterweise erhalten geblieben und nimmt einen schon auf der ersten Seite für das Projekt ein: „Mixtapes sind wie Briefe, die dem Hörer auf subtile Weise Botschaften übermitteln sollen: Sympathie, Liebe, Erinnerungen, aber auch Geschmack, Wissen und die Erlesenheit der eigenen Plattensammlung. Nicht selten widmen sich die Tapes dabei bestimmten Stimmungen und Themen: Der ‚Summer-Mix‘ soll die lange Autofahrt in den Süden versüßen, der ‚Party-Mix‘ ein Höhepunkt der Geburtstagsparty werden. Akribisch werden die persönlichen ‚All-Time-Classics‘ festgehalten, und mit anderen Mixes demonstriert man wiederum die eigene Sichtweise auf bestimmte Genres (der ‚TripHop-Mix‘) oder Themen (‚Love-gonewrong-Mix‘). Der individuelle Ausdruck wird mit einem selbst gebastelten Cover unterstrichen.“

Und wirklich sind (oder waren?) die Mixtapes ein randlebiges, aber dennoch sicher ganz wichtiges Element der Jugend- und Musikkultur. Gibt es eigentlich jemanden, der das nicht gemacht hätte – stunden-, vielleicht nächtelang vor dem Kassettenrekorder zu sitzen und „die eine“ Mischung zu finden, die „Sie“, die „Ihn“ überzeugen und einem näherbringen sollte? Der nicht mit dieser oder jener Zusammenstellung seine Kompetenz auf diesem oder jenem musikalischen Feld demonstrieren wollte?

Das die Kultur der „Mixtapes“ übrigens nicht an bestimmte Generationen oder eine bestimmte Musikrichtung gebunden ist, zeigte vor einiger Zeit der traurigschöne Roman von Rob Sheffield „Love is a Mix Tape. Eine Geschichte von Liebe, Leid und lauter Musik“, erschienen 2007 bei Kiepenheuer & Witsch in Köln. In dem Roman spielen „Mixtapes“  (und die darauf enthaltenen Stücke) eine zentrale Rolle – Prädikat „absolut lesenswert“.

Kassettengeschichten. Von Menschen und ihren Mixtapes (PDF, Universität Hamburg)

Popforum: Kassettengeschichten (Die Begleitpublikation zur Ausstellung)

Rob Sheffield: Love is a Mix Tape (Buchbeschreibung Kiepenheuer & Witsch)

Und an dieser Stelle schließlich ein Youtube-Video mit einem Stück, das sicher auf vielen „Mixtapes“ zu finden und zu hören war. „Silver Tightrope“ ist das 2. Stück auf der LP „Armageddon“ von „Armageddon“, einem Hardrock-Supergroup-Experiment von 1970 mit u.a. Keith Relf von den Yardbirds und Martin Pugh von Steamhammer. Der Rest der Platte ist genau wie das Cover, aber dieses himmlische Stück ist ganz anders und einfach wunderbar und Balsam für wundgescheuerte Seelen, wenn sonst nichts mehr zu helfen scheint.

Wilfried

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